Die Rassismus-Debatte erlebt derzeit aufgrund der jüngsten Polizei-Skandale in den USA eine zuvor nie vorgekommene Aufmerksamkeit. Doch besteht das Problem keineswegs erst seit gestern und vor allen Dingen nicht nur in den USA – sondern auch in Deutschland. Und es geht auch nicht nur um strukturellen Rassismus bei der Exekutive, sondern auch in Führungsetagen vieler Unternehmen und im alltäglichen Arbeitsleben von People of Color (kurz: POC). Selbst wenn er da nicht so öffentlichkeitswirksam sein mag.
Noch immer ist es mit der Diversität in vielen Unternehmen weltweit nicht weit her. Viele Führungsetagen, Vorstände und dergleichen sind nach wie vor nicht nur fast durchgehend männlich, sondern insbesondere auch weiß (auf 126 Führungskräfte kommen 0 POC; Quelle: Gründerszene Magazin). Und weiße Menschen respektive weiße Männer haben einen großen Vorteil in ihrem Leben gegenüber POC: Sie erleben in den seltensten Fällen Diskriminierungen aufgrund ihrer „Herkunft“ und/oder ihrer Hautfarbe. Für POC allerdings gehörten und gehören solche Erlebnisse bis heute noch zum Alltag in einer westlich und weiß geprägten (Arbeits-)Welt.
Journalistin Sara Weber, Leiterin der Redaktionsteams von LinkedIn im deutschsprachigen Raum und in den Beneluxländern, schrieb in einem erst kürzlich erschienen Beitrag im Magazin Gründerszene, dass „immer mehr Menschen in Deutschland [Hilfe] suchen […] wegen Rassismus am Arbeitsplatz.“ Ihren Angaben zufolge gingen 2019 etwa 3.580 Beschwerden bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein, wo es ein Jahr zuvor lediglich 1070 und im Jahr 2016 sogar nur 736 waren. „Besonders häufig, nämlich in 36 % der Fälle [fänden] die gemeldeten Diskriminierungen im Beruf oder bei der Josbuche statt.“
Nursemin Sömnez, Antirassismus- und Diversity-Trainerin stellte erst letztes Jahr in einem Interview mit der ZEIT heraus, dass Rassismus in Unternehmen auf verschiedenen Ebenen stattfinden kann – und keineswegs von jeder*jedem als solcher erkannt wird. „Am stärksten verbreitet sind subtile Formen der rassistischen Diskriminierung. Rassistische Beleidigungen werden zum Beispiel oft als Witz formuliert […].“
Nur: Witz ist nicht gleich Witz, und nicht jeder Witz ist auch wirklich witzig. Darüber hinaus gibt Nursemin Sömnez zu bedenken, dass, schon bevor eine Person of Color einen Job antreten kann, einige Hindernisse zu bewältigen sind: „In vielen Stellenbeschreibungen hier in Deutschland wird zum Beispiel Deutsch als Muttersprache verlangt. Das signalisiert die Annahme, dass Nicht-Muttersprachler die nötigen Sprachkompetenzen nicht mitbringen würden.“ Das muss aber gar nicht der Fall sein. Denn die Kombination aus einem äußerlich nicht typisch-mitteleuropäischen Erscheinungsbild und dem Beherrschen der deutschen Sprache ist keineswegs ein Widerspruch in sich. Eine Person ist, so Sömnez, „so viel mehr als nur das Mitglied einer bestimmten Gruppe oder Community.“
Dennoch werden Bewerber*innen mit diverskulturellem Hintergrund häufig schon im Vorhinein aussortiert, da Ihnen oft bereits im Vorlauf einige Dinge nicht möglich sind, die für andere – meist Weiße aus entsprechenden sozialen Schichten – oftmals einfacher oder sogar selbstverständlich sind, wie unbezahlte Praktika während des Studiums zu machen oder an privaten Elite-Hochschulen zu studieren. Und wenn sie doch eingestellt werden, kämpfen sie nicht selten mit Vorurteilen, Stigmatisierungen und werden bisweilen als „Quotenobjekte“ betrachtet, die ein Beispiel für Diversity sein sollen, wo in vielen Fällen eigentlich keine existiert.
Sara Weber spricht sich deswegen sehr dafür aus, „Talente nicht nur nach vergangener Erfahrung, sondern nach Potenzial auszuwählen […]. Was auch helfen kann: Werden Bewerbungsunterlagen in der ersten Runde anonymisiert – tauchen also keine Namen, Fotos, Angaben zum Alter oder Herkunft darin auf –, werden mehr Personen mit Migrationshintergrund zu Gesprächen eingeladen.“ Auch sollte in Stellenausschreibungen explizit darauf hingewiesen werden, dass Bewerbungen von Menschen mit diverskulturellem Hintergrund erwünscht sind.
Darüber hinaus würde in den Unternehmen noch viel zu wenig über Rassismus gesprochen, merken beide Expertinnen an. Weil es ein unbequemes und unangenehmes Thema sei, mit dem kein*e Geschäftsführer*in oder Vorstand/Vorständin sich gerne beschäftige. Rassismus sei auch hier in Deutschland institutionalisiert, es fehle nur das kollektive Bewusstsein dafür, so Sara Weber auf gruenderszene.de.
Nursemin Sömnez indes weiß, mit welchen Verfahren man ein Bewusstsein für rassistische Strukturen und Vorgänge in Unternehmen schaffen kann. „Es ruft kaum jemand bei mir an und sagt: Wir haben in unserem Unternehmen ein Rassismus-Problem. Viele wollen ein allgemeines Diversity-Training. Meistens stellen sich die Probleme erst während des Workshops heraus“, gibt sie in ihrem Interview mit der ZEIT an. In ihren Trainings gehe es unter anderem darum, „zur Reflexion anzuregen“. Die Mitarbeiter lernen bei ihr, sich Fragen zu stellen wie: „Mit welchen Stereotypen und Vorurteilen bin ich selbst behaftet? Und wie prägen diese mein Handeln im Arbeitsleben?“
Grundsätzlich sind Arbeitgeber und Führungspersonen qua Gleichstellungsgesetz dazu verpflichtet, ihre Arbeitnehmer vor Diskriminierung zu schützen. Wenn dies nicht geschieht, weil Mitarbeiter oder gar sie selbst oder andere Führungspersonen diese Tatsache missachten, sollten unternehmensintern Sanktionsmöglichkeiten geprüft werden oder die Antidiskriminierungsstelle kontaktiert werden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, sich als Führungsperson zu fragen, wie und woher rassistische Ansichten unter den Mitarbeitern vorkommen und sich aktiv dagegen zu positionieren sowie die vom Rassismus betroffene Person zu unterstützen. Naheliegend wäre die unternehmensinterne Einrichtung einer eigenen Antidiskriminierungsstelle mit entsprechenden Handlungsbefugnissen. Auch sollten in jedem Fall die Mitarbeiter in Unternehmen diesbezüglich geschult und sensibilisiert werden, ebenso wie der Betriebsrat. Nur mit einem Bewusstsein für Ungerechtigkeiten und Rassismus kann wirksam dagegen vorgegangen werden. Sodass in Zukunft Diversity und Gleichberechtigung in Unternehmen nicht mehr nur ein Marketingmittel, sondern auch gelebte Unternehmenskultur sein kann.
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