Brain-Drain – wie sehr leidet Deutschland unter der Talentabwanderung ins Ausland?

Ist Deutschland unattraktiv für junge Menschen mit guter Ausbildung? Diese Frage stellt sich unausweichlich, wenn man die Talentabwanderung – den sogenannten Brain-Drain – der vergangenen zehn Jahre beobachtet hat.

Durchschnittlich verlassen Deutschland jährlich etwa 180.000 gut ausgebildete Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, um im Ausland Fuß zu fassen. Etwa 129.000 davon kehren zwar nach ein paar Jahren wieder zurück, dennoch gingen Deutschland auf diese Weise in der letzten Dekade insgesamt etwa eine halbe Million Talente verloren. (Quelle: Neue Züricher Zeitung und Heise Online).

Laut Gabriel Feldmayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, liege diese Entwicklung häufig daran, dass die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten in der Schweiz oder den USA schlicht „besser“ sind. „Im internationalen Wettbewerb um Spitzenkräfte spielen Nettolöhne und damit Steuern und Sozialabgaben eine wesentliche Rolle“, teilte Feldmayr der Redaktion von Heise Online mit. „Hohe Steuern würden zwar vieles ermöglichen, etwa eine gute Infrastruktur, aber Deutschland eben auch unattraktiv für Leistungsträger machen. Umgekehrt wird der Standort genau für jene Migranten attraktiv, die im unteren Lohnsegment tätig werden.“

Teil der Problematik um den Brain-Drain ist mit Sicherheit auch, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort nicht gerade maßgeblich für seinen Innovationsmut bekannt ist. Zumindest, was den Finanzsektor betrifft, dessen Hilfe benötigt wird, um gute und innovative Ideen realisierbar zu machen. Für Start-Ups und Junggründer sind die USA meist attraktiver, da es dort mehr private Geldgeber gibt, die bereit sind, in die Ideen junger Innovatoren zu investieren. Kein Wunder also, dass die beliebtesten Länder bei jungen Spezialisten entweder die Schweiz, aufgrund der steuerlichen Vorteile, oder die USA, aufgrund des stärkeren Innovationswillens, sind.

Daher könnten sich, laut dem Job-Portal Karriere.de, auf dem deutschen Arbeitsmarkt „schon bald wesentliche Änderungen in den Personalstrategien der Unternehmen ergeben.“ Das wird auch bitter nötig sein, gerade im Bereich der Digitalisierungsspezialisten: „Der Wettbewerb um die besten digitalen Talente ist international, die Nachfrage nach KI-Experten übersteigt schon jetzt die Zahl der entsprechend ausgebildeten Fachkräfte in Deutschland“, zitiert man hier den Stepstone-Geschäftsführer Sebastian Dettmers. Und dabei würden gerade sie verstärkt überall gebraucht – nicht zuletzt durch die in der Corona-Pandemie stärker geforderte Digitalisierung verschiedener Arbeits- und Dienstleistungsbereiche.

Was muss also geschehen, um Deutschland attraktiver zu machen für junge Talente und gut ausgebildete Akademiker? Ein Entgegenkommen in den Entwicklungs- und Verdientsmöglichkeiten und stärkere Orientierung an den konkreten Bedürfnissen der gefragten Personen sind mit Sicherheit angebracht. Auch muss Deutschland mutiger werden, was die Finanzierung neuer Ideen betrifft. Denn hier ist es ähnlich, wie bei den jungen Talenten selbst: An den Ideen fehlt es  grundsätzlich nämlich nicht – nur an dem Willen und dem Mut der Geldgeber, einen gewissen Preis für sie zu bezahlen.

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